Plakat Messias Juni 1997

G.F. Händel: Der Messias

  • Autor:

    KIT Kammerchor

  • Datum: 08.06.1997
  • Ort: Liebfrauenkirche Ettlingen

Mitwirkende

MItwirkende Messias Juni 1997

Der Messias

Text von Monja Sobottka

Georg Friedrich Händel und der Messias

Bereits zu Lebzeiten hatte Georg Friedrich Händel (1685 - 1759) eine so hohe Popularität erreicht, daß ihm sogar ein Denkmal errichtet wurde. Zahlreiche Huldigungshymnen und die stets großzügige finanzielle wie ideelle Unterstützung des englischen Königshauses sowie führender Adeliger ergänzen das Bild der Händelverehrung im 18. Jahrhundert. Sie ist bis in unsere Zeit ungebrochen geblieben, und sein Einfluß auf so bedeutende Komponisten wie Mozart, Haydn, Beethoven, Gluck und Mendelssohn zeugen von der Größe und Universalität seiner Musik.
     Ausgestattet mit einer weit über Durchschnitt liegenden musischen Begabung und einem nicht gerade anpassungsfähigen, bisweilen an Dickköpfigkeit grenzenden Charakter, verlief Händels Erfolgsweg naturgemäß recht hindernisreich. Überhaupt hätte es nach dem Willen des Vaters gar nicht sein sollen, daß sein Sohn die Musikerlaufbahn wählte: Jura sollte er studieren. Doch dann kam alles anders: während eines Aufenthaltes im nahe bei Halle (Händels Geburtsstadt) liegenden Weißenfels wurde Händels Talent quasi „entdeckt" - von keinem geringeren als dem dort ansässigen Fürsten, der ihn in der Kirche Orgel spielen hörte. Eindringlich redete er Händels Vater in's Gewissen, daß es „eine Sünde wider das gemeine Beste und die Nachkommen (wäre), wenn man die Welt eines solchen anwachsenden Geistes gleich in der Jugend beraubte". Diesem von so hoher Stelle erteilten Rat konnte sich der Vater schwerlich widersetzen und so bekam sein Sohn in Halle seine erste musikalische Ausbildung. Dennoch immatrikulierte er sich pro forma 1702 an der Universität in Halle, im selben Jahr nahm er eine Organistenstelle an der Hallenser Domkirche an, die auf ein Jahr befristet war. In dieser Zeit freundete er sich mit Georg Philip Telemann an, dem er zeitlebens freundschaftlich verbunden blieb. Dieser führte ihn in die Welt der Oper ein, die ihn sogleich faszinierte. Seine nächste Station war Hamburg, wo er Erfahrungen auf dem Gebiet der Oper sammeln und seine in Halle begonnenen ersten Kompositions­versuche fortsetzten konnte.
      Ein wichtiger Abschnitt für Händels musikalische Entwicklung war sein Italienaufenthalt von 1706-1710. Der Stil bedeutender italienischer Komponisten wie D. Scarlatti, Corelli u.a. hinterließ deutliche Spuren in seinen Kompositionen. Insbesondere die Verfeinerung des Vokalstils sowie die Entdeckung verschiedener Streicherklangfarben und deren Einsatz zur dramatischen Gestaltung prägten diese Phase. Seine erste Oper „Agrippina" wurde sogleich ein glänzender Erfolg. Bereits hier zeigt sich sein geniales Gespür für eine spannungsreiche Dramaturgie, die Mozart einmal folgendermaßen beschrieb: „Händel weiß am besten unter uns allen, was großen Effekt tut; wo er das will, schlägt er ein wie ein Donnerwetter.
     Der „Urlaub", den Händel von seinem nächsten Arbeitgeber, dem Kurfürsten von Han-nover, für eine Reise nach England erbat, sollte sich auf Lebenszeit ausdehnen. Hier beginnt seine eigentliche Karriere als Opern- und später als Oratorienkomponist, hier schlug er Wurzeln (1727 wurde er englischer Staatsbürger). Denn seitdem der bedeutendste englische Komponist, Henry Purcell, gestorben war, lag Englands Musikszene brach. Daß aus­gerech­net ein ausländischer Komponist, und noch dazu mit der Etablierung der italienischen Oper, so erfolgreich in diesem Land sein konnte, spricht einerseits für seine musikalische Größe, andererseits aber auch für die Toleranz und Offenheit des englischen Volkes. Unter Händel gelangte die italienische Oper zu ihrer höchsten Blüte. Es war die Zeit der Kastraten und gefeierten Sängerinnen, der Operngesellschaft am Haymarket Theatre, für die Händel am laufenden Band neue Opern produzierte - aber auch die Zeit der Intrigen, der Konkurrenz, der Launen von Sängern, des Zwangs, das verwöhnte Publikum zufrieden­zustellen. Doch die Engländer wurden das „italienische Theater" langsam müde. Volkstüm­liche Parodien in englischer Sprache auf die 'opera seria' wie die sog. „Beggars Opera" zogen nunmehr weit mehr Publikum an als die ewig historischen, schweren Stoffe der italienischen Oper. Doch Händel hielt unumstößlich daran fest, während andere längst die Notwendigkeit einer nationalen Oper erkannt hatten, wie wir aus der Feder von Aaron Hill erfahren: ...(ich) kann es nicht unterlassen, Ihnen mitzuteilen, wie ernstlich ich wünschte, daß Sie (...) Ihr beispielloses Genie auf die Verfassung von Musik auf der Grundlage guter englischer Dichtung verwenden würden; damit der hervorragende Klang nicht weiterhin entehrt werde durch den dürftigen Sinn, an den er gebunden ist. Es ist meine Meinung,,daß Sie beherzt genug sind, uns aus den italienischen Fesseln zu lösen; (...)". Händel rang lange mit dem Oratorium: die Vertonung des oft in sich antithetischen Bibelwortes und der dialoglosen, meist wenig dramatischen geistlichen Dichtung erforderte eine andere musika­lische Behandlung, als er es von den Opernlibretti her gewohnt war. Das Ergebnis dieser neuen Auseinandersetzung war das klassische englische Oratorium, in dem englische Chor­tradition, italienischer konzertierender Stil, französisches Pathos und deutsche Kontrapunktik und Tiefe zu einer kongenialen Einheit zusammenflossen.
     Unsere heutige Vorstellung von einem Oratorium darf nicht mit jener zu Händels Lebzeiten verglichen werden: Oratorien wurden fast nie in Kirchen aufgeführt, sondern im Theater oder in Konzertsälen. Sie dienten in erster Linie der Unterhaltung und es war gebräuchlich, sie durch Konzerte (z. B. Orgelkonzerte, die Händel selbst spielte) oder andere Musikstücke aufzulockern. „Der Messias" stellt in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar: er wurde von Anfang an als echtes geistliches Oratorium konzipiert und, im Gegensatz zu den anderen Oratorien, auch einige wenige Male in einer Kirche aufgeführt. Der Text stammt von dem englischen Dramatiker Charles Jennens, der alt- und neutestamentarische Versatzstücke geschickt zu einer dramaturgisch sinnvollen Handlung zusammenstellte. Von Christi Geburt, Wirken, Tod und Auferstehung bis zur Himmelfahrt beinhaltet das Werk alle wichtigen kirch­lichen Festtage und kann nahezu über das ganze Jahr über aufgeführt werden.
     "Die Komposition ist meisterhaft und kunstvoll, doch gleichzeitig ist die Harmonie so großartig und offen, daß sie allen gefällt, die Ohren haben, ob gebildet oder ungebildet", schreibt Bischof von Elphin anläßlich der Uraufführung des „Messias" in Dublin 1742. In eben jener leichten Faßlichkeit und dennoch tiefen musikalischen Durchdringung des Textes, in seiner Schlichtheit und Geradlinigkeit der musikalischen Ausdrucksformen ohne dabei platt und eintönig zu werden, liegt Händels unangefochtene Meisterschaft und die bis heute andauernde Verehrung und Begeisterung für dieses Werk.
    Trotz des wenig dramatische Angriffsfläche bietenden Textes ist Händels Opernvergangenheit allgegenwärtig. Besonders in den Accompagnato-Rezitativen und Arien nutzt er seine Erfahrung in Textdeklamation und instrumentaler Lautmalerei. So ist die Arie Nr. 6 „But who may abide.." durchsetzt von den züngelnden Flammen des läuternden Feuers durch rasende Violinsechzehntel; dramaturgisch konsequent wird die Läuterung im folgenden Chorsatz durch eine fugenartige alle Stimmen durchlaufende Koloraturenkette fortgesetzt und somit die Prozeßhaftigkeit der Reinigung (Nr.7: „And he shall purify") versinnbildlicht. Im Rezitativ Nr.9 scheint die die Erde bedeckende Dunkelheit nahezu greifbar durch ein immer dichter werdendes, bedrohlich-monotones Streichergeflecht. Wie ein Sonnenaufgang erstrahlt sodann die Ankunft des Herren in immer höher steigender Gesangslinie. Ein kaum zu überbietendes Maß an Leichtigkeit und pulsierender Beschwingtheit findet sich in dem Chor Nr. 18 „His yoke is easy...". Der Beginn im Sopran erscheint wie ein Frohlocken, ja fast ein 'Kichern' ob der Leichtigkeit mit der Christus seine Last tragen wird. Die Teilstücke aus diesem anfänglichen Thema, ordnet Händel so ineinander verflochten und doch offenliegend den einzelnen Stimmen zu, daß der ganze Satz von einem einzigen großen Schwung durchgetragen scheint.
     Nach Verkündigung und Geburt Christ widmet sich der zweite Teil Christi Leiden, Sterben und Auferstehung. Eine zentrale Stellung nimmt die Arie Nr. 20 „He was despised" ein: die Ungeheuerlichkeit des Sich-Auslieferns, des Ertragens von Schmerz und Hohn setzt Händel musikalisch in ein ungeheuerliches Wort-Ton-Verhältnis um, indem er den harten Worten von Verachtung und Hohn mit der sanften Melodik von Christi Menschenfreundlichkeit und Duldsamkeit begegnet. Die Erkenntnis des Volkes, daß Christus ALL sein Leiden auf sich genommen hat, kommt im folgenden Chorsatz (Nr. 21) einem Aufschrei gleich, während scharfe Punktierungen wie Peitschenhiebe Christi Schmerzen vergegenwärtigen. Im Mittelteil des Satzes kommt es beinahe zu einem Stillstand, scharfe Dissonanzen und kühne harmonische Wechsel bringen die lähmende Ohnmacht des Volkes gegenüber Christi Schmerzen zum Ausdruck, bis sich der Friede der Menschheit in einer wunderbaren Wandlung nach Dur ankündigt. Von unglaublicher Empfindsamkeit und Bewegung sind das Rezitativ und die Arie Nr.26 und 27, die als einzige die menschliche Seite in Christus beleuchten - hier zeigt der Gottessohn menschliche Schwäche, Verzweiflung, Trauer. Behutsam und schlicht führen der klagende Gesang des Tenors und die äußerst sparsam eingesetzten Streicher einen Dialog - doch die Frage ob es je solche Qualen gab, bleibt am Schluß unbeantwortet im Raum stehen. Der 2. Teil endet mit dem großartigen Halleluja, das die Auferstehung und Himmelfahrt Christi bejubelt.
     Der 3.Teil gehört der Verklärung, dem Ewigkeitsgedanken und der Unsterblichkeit. Der Verwandlungsprozeß von Endlich- zu Unendlichkeit, von Verwesung zu Auferstehung wird eindrucksvoll in der mit obligater Trompete und Pauke besetzten Arie Nr. 43 „The trumpet shall sound" geschildert. Das Werk endet mit dem majestätischen Chor „Worthy is the lamb" mit anschließendem Amen, in dem Händel aus einem in sich ruhenden und dennoch alle „Höhen und Tiefen" - musikalisch wie kosmisch betrachtet - durchdringenden Thema ein komplexes Gewebe entwickelt, das sich in der Überhöhung durch Pauken und Trompeten bis zu einem glanzvollen Schluß steigert.

Monja Sobottka