Plakat Bach Messe in h-moll April 2008

Bach: Messe in h-moll

  • Autor:

    KIT Kammerchor

  • Datum: 13.04.2008
  • Ort: Christuskirche Karlsruhe

Mitwirkende

Kammerchor der Universität Karlsruhe

Les Enchantants

Konzertmeisterin: Fiona Stevens
Musikalische Leitung Klaus Westermann

Sopran   Margaret Hunter
Meszzosopran   Franziska Gottwald
Tenor   Carsten Lau
Bass   Jens Hamann


Dirigent Nikolaus Indlekofer

Les Enchantants :
Violine, Konzertmeisterin: Fiona Stevens
Violine: Daniel Deuter, Sara Hubrich, Wolfgang v. Kessinger, Carla Linné, Anna v. Raussendorff , Ilya Dobrushkin, Andreas Preuss
Viola   David Dieterle, Valentina Cieslar
Violoncello, Basso Continuo: Katie Rietman
Violoncello: John Semon
Violone: Miriam Shalinsky
Flöte: Daniel Rothert, Eva Morsbach
Oboe, Oboe d'amore: Hans-Peter Westermann, Annette Spehr
Fagott, Oboe: Jennifer Harris
Fagott: Kathrin Lazar
Horn: Ulrich Hübner
Trompete: Hannes Rux, Almut Rux, Isa Mohr
Pauke: Friedhelm May
Orgel, Basso Continuo: Klaus Westermann

Programm

Programm Bach - Messe in h-moll April 2008

Die h-moll-Messe von J. S. Bach -
"opus ultimum"- als Vermächtnis


Seitdem gegen Ende der 50-er Jahre die h-Moll Messe aufgrund neuer Datierungserkenntnisse die "Kunst der Fuge" von ihrem Rang als "opus ultimum" verdrängt hat, scheint ihre Mystik rätselhafter, gleichzeitig aber auch aktueller denn je zu sein. In Analogie zu Mozarts Requiem und anderen "opera ultima" bekannter Komponisten wollen wir in diesem letzten Werk eine höhere Bestimmung, eine Art Vermächtnis des Komponisten an die Nachwelt sehen, die Quintessenz seiner musikalisch-geistigen Reife.

In der Tat scheint die h-moll-Messe bei näherer entstehungsgeschichtlicher Betrachtung nicht nur rein zufällig das Endprodukt von J. S. Bachs Schaffen zu sein, sondern vielmehr das Ergebnis eines Aktes bewusster Sichtung und Selektierung seines umfangreichen und hochentwickelten künstlerischen Materials. Dies geschieht vor allem durch die damals übliche Praxis der Parodie, d. h. der Wiederverwendungen eigener Kompositionen in einem neuen Kontext, was bei Vokalwerken meist mit der Neutextierung eines vorhandenen musikalischen Satzes einhergeht. Kein anderer Komponist seiner Zeit hat von dieser Technik so intensiven Gebrauch gemacht wie Bach: mehr als ein Drittel der h-moll-Messe besteht nachweisbar aus Parodien. Die älteste Vorlage für eine solche Parodie in der h-moll-Messe stammt aus der bereits 1714 komponierten Kantate BWV 12, "Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen", deren Eingangschor Bach für die Komposition des "Crucifixus" verwendete. Gerade an diesem Beispiel wird deutlich, dass Bachs Parodieverfahren mehr ist als bloßes „Recycling" älterer Kompositionen; denn der in der Kantate vorherrschende Grundaffekt von Trauer und Schmerz findet im Leiden Jesu Christi am Kreuz ("Crucifixus etiam pro nobis") seine Entsprechung, ebenso wie sich die Lobpreisung der Größe Gottes in der als Parodievorlage benutzten Kantate BWV 171 "Gott, wie Dein Name ist, so ist auch Dein Ruhm" im Chor "Patrem omnipotentem" (Allmächtiger Vater) der h-moll-Messe wiederspiegelt.

Durch die stetige Auseinandersetzung Bachs mit dem eigenen Werk, dessen Umformung und Anpassung an neue Sinngehalte, erfährt seine Musik gleichsam eine Überhöhung in den Dienst einer vom Wort losgelösten allgemeingültigen Wahrheit. Diese These hebt auch den scheinbaren Widerspruch zwischen protestantischer und katholischer Gottesdienst - bzw. Messtradition auf. Die 1733 komponierte "Missa", die gemäß der damaligen protestantischen Kirchenpraxis nur Kyrie und Gloria beinhaltete, bildet zusammen mit dem 1724 komponierten Sanctus den Grundstock der h-moll-Messe. Im Jahre 1749, ein Jahr vor seinem Tod, komplettierte Bach diesen Grundstock durch Neukompositionen bzw. Parodierungen der restlichen Teile Credo, Osanna, Benedictus, Agnus Dei und Dona nobis pacem zu einer "missa tota", also einer vollständigen Ordinariumsmesse im Sinne der katholischen Liturgie. So erhebt sich der fest in der reformatorischen Tradition verwurzelte Komponist am Ende seines Lebens über seine eigene Konfessionalität hinaus und hinterlässt uns ein Manifest des Glaubens von allgemeingültiger Aussage.

Bezeichnend hierfür ist auch die überaus reiche Ausstattung der h-moll-Messe mit Symbolen verschiedenster Parameter. Die Zahlensymbolik mit der Drei als Zeichen der Trinität, der Sieben für die Zahl der Schöpfungstage oder der Zwölf als Ausdruck des Zeitmaßes (Tag, Monat, Jahr) oder der zwölf Apostel steht für die Sichtbarmachung einer höheren göttlichen Ordnung. So besteht das Thema des als Fuge angelegten "Credo in unum Deum" aus sieben Tönen, es gibt insgesamt sieben Themeneinsätze, die 84 Takte des Chores "Patrem omnipotentem" (Bach selbst hat diese Zahl am Ende des Satzes vermerkt) sind das Produkt aus den Symbolzahlen sieben mal zwölf. Auch die Sprache trägt Symbol- und damit allgemeinen Gültigkeitscharakter: das Latein als jahrhundertealte Sprache repräsentiert das unverwüstliche Medium des Glaubens. In der musikalischen Symbolik begegnet uns immer wieder das Zeichen des Kreuzes als Ausdruck der Erniedrigung und des Leidens Jesu Christi für die Menschen, im "Crucifixus" durch sich überlagernde Zweitongruppen von Flöte und Violine dargestellt, während der Chor mit der pochenden Unerbittlichkeit seiner dissonanten Einsätze das Einhämmern der Nägel am Kreuz, den Akt der Kreuzigung selbst in ergreifender Realität vergegenwärtigt.

Die Komplexität der h-moll-Messe äußert sich auch in der Vielzahl verschiedener Gattungen und Stilrichtungen der einzelnen Sätze, der Gegenüberstellung von altem und neuem Stil, aber auch deren Synthese. Die Verarbeitung eines gregorianischen cantus firmus wie im "Credo in unum Deum" sowie im "Confiteor" steht für den stile antico, wie er am vollkommensten im Werk Palestrinas repräsentiert ist. Daneben steht die neuentstandene Form des Konzertsatzes, der zu Beginn des Barock mit der Emanzipation der Instrumentalmusik einhergeht: die Instrumente erhalten eigenen Aussagecharakter, sowohl im gegenseitigen Konzertieren als auch im Dialog mit den Vokalstimmen, wie z.B. im "Et resurrexit". Aber Bach geht noch weiter, er präsentiert uns nicht nur ein Kaleidoskop seines reifsten musikalischen Könnens, sondern in der Vervollkommnung seiner Musik, in der Einheit durch Komplexität offenbart sich uns das Vermächtnis seiner ganz persönlichen Glaubensauffassung, nämlich das Ewigwährende einer höheren, unaussprechlichen Wirklichkeit, eines Göttlichen, das wir in der unmittelbaren Erlebbarkeit seiner Musik erfahren, losgelöst vom Dogmatismus einer bestimmten Glaubenslehre.

Monja Sobottka